Google versteht ChatGPT als neuen Konkurrenten am Markt. Inzwischen sind viele Dikussionen darüber entfacht, wie sehr der neue Player Google zusetzen könnte. Wir wollen in diesem Artikel klären, warum Google sich auf einen harten Kampf vorbereiten sollte.
Meinungen zu den aktuellen Entwicklungen gibt es viele. Beispielsweise die, dass ChatGPT Google niemals ersetzen werden wird. Oder aber auch, dass bereits ein neuer Suchkrieg ausgelöst wurde.
Generische Ranking vs. Individualoptionen
In Laufe der letzten Jahre haben wir uns daran gewöhnt, fehlendes Wissen mit einer Google-Anfrage, beziehungsweise mit den gelieferten Suchergebnissen zu kompensieren. Die Suchmaschine lieferte uns dabei die nach ihrer Sicht besten Websites als Lösung für unser Problem an. Das Ranking von den klassischen 10 Suchergebnissen suggeriert seit dem: das beste Ergebnis befindet sich auf den forderen Plätzen, schlechtere weiter hinten. Ein Platz 1 ist also besser als der zehnte Platz, oder gar einer auf den hinteren Suchergegisseiten. Das Rankingkonzept scheint absolut intuitiv und verständlich. Seit Bestehen von Google wurde dieses Präsentationskonzept über die Jahre unverändert belassen.
ChatGPT bietet nach über 25 Jahren, die Google nun am Markt existiert, ein alternatives Konzept zur Beschaffung von Informationen an. Dabei bricht es die klassische und starre Rankingstruktur auf und liefert selbst abgeleitete Erkenntnisse als individuelle Lösung an, die so möglicherweise auf keiner Website zu finden sind. Damit degradiert ChatGPT Google zu einem Webkatalog, der für sich alleine nur einen geringen Erkenntnisgewinn vermittelt.
Lösungsermittlung mit Hilfe von Google
Um die Unterschiede beider Systeme, aber auch das enorme Potenzial, welches sich hinter ChatGPT verbirgt, besser verstehen zu können, sollten wir verstehen, wie Google genau genutzt wird. Die folgende Abbildung beschreibt drei Unterschiedliche Phasen, die bei der Findung einer Lösung mit Google durchlaufen werden können: Problem-Phase, Formulierungsphase und die Lösungsphase.
Jede dieser Phasen lässt sich in die Abschnitte Unbekannt, Teilbekannt und Bekannt untergliedern. Die Teilbekanntheit steht dabei für die assistierte Erinnerung, bei der möglicherweise relevante Informationsbausteine bekannt sind. Bei der klassischen Informationsbeschaffung über Google kann, muss aber nicht jeder der 9 beschriebenen Abschnitte durchlaufen werden. Der Einstieg ist Abhängig vom Vorwissen des Suchenden. Dabei können ein oder mehrere Suchanfragen formuliert werden, um zu den nächsten Schritten zu gelangen. Das kann ein mühseeliger Prozess sein, der sich auch mal über einen längeren Zeitraum strecken kann.
Insbesondere der Übertritt von der Problem- in die Formulierungsphase fordert den Suchenden auf kognitiver Ebene deutlich. Denn hier müssen von Google vermittelte Informationen konzeptionell verstanden und auf die eigene Situation übertragen werden. Das ist nicht nur anstrengend, sondern führt oft auch zu Fehlschlüssen. Bestes Beispiel ist die sogenannte Cyberchondrie: wenn Google zur Selbstdiagnose zum Einsatz kommt, fallen die Ergebnisse oftmals völlig überzogen aus, sorgen für Ängste und führen zu einem unbegründeten, oftmals eingebildeten Krankheitsempfinden.
Wie stark uns die Suchergebnisse von Google beeinflussen, ist uns oftmals nicht bewusst. Ein wesentliches Problem hierbei ist der generische Ranking-Ansatz, der individuelle Aspekte nicht berücksichtigen kann.
So funktioniert Googles Ranking-Ermittlung
Die Rankings von Google werden nach einem basisdemokratischen System ermittelt: das, was den meisten Nutzern gefällt, das gefällt sicher auch anderen, die nach vergleichbaren Dingen gesucht haben.
Die folgende Abbildung zeigt die Funktionsweise und das Zusammenspiel der unterschiedlichen Mechanismen, die bei der Rankingermittlung zum Einsatz kommen. Zur Veranschaulichung vergleichen wir den Suchvorgang mit dem Angeln nach einem genießbaren Speisefisch (Ziel/Lösung). Dazu begeben wir uns zunächst auf ein Segelbot und formulieren unseren Wunsch (1). Google führt uns anschießend zu dem Gewässer, bei dem es davon ausgeht, dass wir fündig werden (2). Der Angler (also wir) beginnt nun, in den leicht zugänglichen oberen Wasserschichten zu fischen. Nachdem der erste Fisch angebissen hat, muss er nun entscheiden, ob es ein guter Fang war. Soll er Google anweisen, ihn zu einem anderen Gewässer zu fahren (Suchanfrage neu formulieren), soll er vielleicht tiefer fischen oder hat der erste Versuch schon ein genießbares Exemplar zu Tage gefördert? Google beobachtet die Entscheidungsfindung des Anglers ganz genau, leitet neue Erkenntnisse ab und nutzt diese für künftige Angler. Um diesen ein noch besseres Erlebnis bieten zu können.
Hat sich der Angler für einen der geangelten Fische entschieden? Mit einem Klick auf das Suchergebnis wird genau dies entschieden. Damit aber noch nicht genug: liegt der Fisch auf dem Teller, könnte der Angler bei genauer Betrachtung doch noch von seiner Qualität enttäuscht sein und ihn wieder ins Meer zurück werfen. Eine solche Bewegung von der ausgewählten Webiste zurück zur Suchmaschine wertet Google ebenfalls aus und passt seine künftigen Suchergebnisse an.
Die Interaktion des Nutzers hat also einen maßgeblichen Einfluss auf die Art und auch die Zusammensetzung der Suchergebnisse.
Der Konsensfunnel
Google verfolgt einen Empfehlungsansatz, der durch das Verhalten der Masse gespeist wird. Das erstellt die Suchmaschine einen sogenannten Konsensfunnel, also einen Lösungstrichter, an dessem Ende immer die gleichen Lösungen, beziehungsweise Lösungsanbieter stehen.
Während der Suchende zu Beginn seiner Recherchen auf das eigentliche Problem fokussiert ist, untersucht dieser noch deutlich mehr Suchergebnisse, als im weiteren Verlauf. Denn kann das Thema richtig umschrieben werden, können auch die passenden Marken gefunden werden, die zur Lösung beitragen können.
Damit entscheiden viele Parameter aus dem klassischen Marketing über ein prominenten Ranking. Und nicht die Qualität, nicht die passende Lösung. Im Vergleich zur ChatGPT präsentiert sich Google selbst mit seinen organischen Suchergebnissen als eine reine Marketingplattform.
ChatGPTs Lösungskompetenzen
Die Fähigkeiten zur Erstellung von Code und Content macht ChatGPT weit über die reine Informationsbeschaffung hinaus für unzählige Bereiche höchst interessant. Aber selbst wenn wir uns nur auf die reine Informationsbeschaffung konzentrieren, so wird deutlich, wie Überlegen ChatGPT hier sein kann.
Greifen wir das Beispiel von eben auf: nehmen wir an, wir leiden unter Bauchschmerzen, haben einen erhöhten CRP-Wert (das hat uns der Hausarzt mitgeteilt) und wir leiden unter Schlaflosigkeit. Wenn wir nun wissen möchten, welche Erkrankung mit diesen Symptomen einhergeht, könnte eine entsprechende Suchanfrage bei Google wie folgt aussehen:
Das erste organische Suchergebnis, navimol.de, klingt zunächst vielversprechend. Also klicken wir auf dieses:
Bei genauer Untersuchung fällt auf, dass der Begriff “Bauschmerzen” kein einziges Mal im Text erscheint. Es scheint also relativ unwahrscheinlich, dass die von Google vermittelte Lösungsseite eine korrekte Antwort auf unsere Frage liefern kann. Zudem ist die Seite recht umfangreich. Relevante Informationen müssen mühsam zusammengesucht werden.
Formulieren wir nun den Suchauftrag für ChatGPT – in natürlicher Sprache:
Hier fallen unmittelbar folgende Aspekte auf:
- Fachbegriffe werden kurz und bündig erklärt, sodass den weitern Ausführungen gefolgt werden kann.
- Der Suchende wird direkt mit Informationen aus den unterschiedlichen Abschnitten des oben beschriebenen Suchprozesses versorgt.
- Es erfolgt eine grobe, plausible Eingrenzung, ohne zu sehr ins Detail zu gehen.
- ChatGPT liefert eine individuelle Antwort mit ausschließlich relevanten Anteilen.
ChatGPT benötigt zur Generierung der Antwort ein paar Sekunden. Google hingegen liefert die Suchergebnisse zur Anfrage innerhalb von Millisekunden aus. Dennoch gelangt der Suchende deutlich schneller zu einer ersten Einschätzung, als dies bei der Sichtung der von Google empfohlenen Websites der Fall wäre. Googles Erkenntnis einer eigenen Studie, die besagt, dass die verzögerte Auslieferungen von Suchergebnisseiten Umsatzeinbrüche zur Folge hat, muss hier in einem neuen Licht betrachtet werden. Denn Google ist ja als reiner Informationsvermittler zu betrachten, den man so schnell wie möglich “aus dem Weg” haben möchte, um zum Ziel zu. gelangen. Google ist nicht das Ziel, sondern nur der Weg dorthin. ChatGPT hingegen ist das Ziel, denn es generiert die Antwort. Und dazu noch eine individuelle.
Fazit
Ob sich eine Technik durchsetzt oder nicht, hängt immer von der Akzeptanz der Nutzer ab. Und diese wiederum wird geprägt vom wahrgenommenen Mehrwert. ChatGPT bietet im Vergleich zu Google eine Menge an Mehrwert. Zum einen kann der Informationssuchende deutlich schneller und mit weniger Aufwand zum gewünschten Ziel gelangen. Die Anwendbarkeit natürlicher Sprache reduziert die Hürde nochmals deutlich. Zum anderen ist jedoch die Aufbereitung individueller Antworten ein ganz großer Vorteil, der die ausgetrampelten Marketingpfade verlässt und ChatGPT noch lösungsfokussierter erscheinen lässt, als es Google aus seiner Konzeption heraus sein könnte.
Auch wenn wir nicht auf die bisherigen Limitierungen und Grenzen des Systems eingegangen sind, so scheint es doch so: die Tage des sequenziellen Suchens über Schlüsselbegriffe, die dann ein Ranking potenzieller Fertiglösungen liefern, sind gezählt. Der fokussierte, iterierende Dialog für eine Indiviuallösung ist keine Science-Fiction mehr.